Persönlich

Daniel Hintermann

Leiter Direktion Logistik Coop

«Mir als Logistiker genügt es nicht, vom Schreibtisch aus zu schauen, wie die Lastwagen fahren.»

Daniel Hintermann

Seit 2017 ist er Mitglied der Geschäftsleitung der Coop-Gruppe sowie Leiter der Direktion Logistik der Coop Genossen­schaft. Im Weiteren wirkt der 51-Jährige als Verwaltungsrat und als Mitglied im geschäftsführenden Ausschuss der Cargo sous terrain AG, ferner als Verwaltungsrats­präsident der railCare AG. Daniel Hintermann ist studierter Betriebs­wirtschafter, eine Ausbildung in Unter­nehmens­logistik ergänzt sein Profil. Nach der Uni sammelte er fünf Jahre lang in einer Unter­nehmens­beratungsfirma wertvolle Berufs­erfahrung: von der simplen Optimierung bis zum Turna­round. Doch Daniel Hintermann bezeichnet sich als Umsetzer. In seiner langen Karriere seit 2001 bei Coop trägt er zunehmend Führungs­verantwortung: zuerst am Hauptsitz von Interdiscount in Jegenstorf als Leiter Service, dann als Leiter Logistik, Informatik, Service; überdies von 2010 bis 2016 als Leiter der Coop-Logistik­region Nordwest­schweiz bzw. NWZZ in Schafisheim.

Zentral in seinem Leben ist seine Familie mit zwei Söhnen. Bleibt Zeit, geniesst er diese beim Biken, Wandern, Skifahren oder auf Reisen sowie als Fussballfan (YB).

Dynamik auf allen Ebenen

Das Kornmagazin traf sich in Bern mit Daniel Hintermann, dem oberstem Chef über die Logistik bei Coop. Alltägliche und ausserordentliche Logistikprozesse, Lerneffekte im Zuge der Coronakrise, Innovationen im Güterverkehr: Spannende Einblicke dazu gibt es im Interview. 
Daniel Hintermann: Seine Aufgabe als Logistikdirektor bei Coop umfasst ein breites Verantwortungsspektrum. Bild: Coop

Herr Hintermann, bevor Sie 2017 von Leo Ebneter die Leitung der Direktion Logistik bei Coop übernahmen, waren Sie schon in Schafisheim logistisch gross geworden. 
Daniel Hintermann: Ja, beim Bau des neuen Logistikzentrums von Coop mit der grössten Bäckerei der Schweiz war ich dort von 2010 bis 2016 als Gesamtleiter tätig. Von der Verteilzentrale in Schafisheim AG werden rund 40 Prozent aller Verkaufsstellen von Coop bedient. Es ist ein immenses Bauwerk, das 25 Meter tief in den Boden und 25 Meter in die Höhe reicht. Eine gigantische Herausforderung war dabei, die Prozesse zu legen und die unterschiedlichsten Logistikfunktionen am Standort miteinander zu verknüpfen. Dafür machte ich eigens noch eine Ausbildung zum eidg. dipl. Logistikleiter. Diese grundsätzliche, auch theoretische Auseinandersetzung mit Logistik war mir ein Bedürfnis.

Warum ist Ihr Direktionssitz hier in der Verteilzentrale in Bern und nicht in Schafisheim? 
Mir als Logistiker genügt es nicht, vom Schreibtisch aus zu schauen, wie die Lastwagen fahren. Ich muss spüren, was läuft, und in meiner Funktion auch einen Bezug zur Basis haben. So leite ich in Personalunion eine unserer vier Logistikregionen, Bern ist die kleinste davon. Die Region Nordwestschweiz-Zentralschweiz-Zürich (NWZZ) mit Standort in Schafisheim ist viel zu gross und komplex, ein Vollzeitjob.

Wie viele Mitarbeitende gehören zu Ihrer Direktion?
Mir unterstellt sind neben der Logistik zudem die Bäckereien, unsere Mineralwasserquelle, die Weinkellerei und Bananenreiferei. Insgesamt sind wir rund 5 200 Leute, davon gehören rund 1 000 Mitarbeitende zum Bereich Bäckerei. Eine interessante Zusammenstellung. So könnte man mit dem Brot und dem Wasser im Gefängnis überleben. Damit es etwas schöner wird, haben wir noch den Wein bei uns und die Bananen für die Vitamine (lacht!).

Wie gelingt es logistisch, die grossen Mengen und unzähligen Verkaufsartikel jeweils bei Bedarf in den Läden zu haben?
Hinter allem steht ein gewaltiges, stark IT-unterstütztes Prozessmanagement. Wir wären angesichts der Komplexität sonst chancenlos. Unser Warenbewirtschaftungssystem steuert übergeordnet das Zusammenspiel aller Bestellungen von den Läden wie auch jener zu den Lieferanten hin. Würden die Prozesse nicht sauber laufen, wären die Verteilzentralen mit Lieferungen überflutet. Oder es gäbe Leerbestände, weil keine Ware mehr eintrifft.


Schnell- und Langsamdreher

Was passiert mit Lieferungen, die bei einer Verteilzentrale (VZ) ankommen? 
Bei allen Waren unterscheiden wir jeweils, ob sie als Schnelldreher in eine regionale Verteilzentrale kommen oder als Langsamdreher in eine nationale (Details, siehe 'Verwandter Artikel'). Produkte mit einem etwas längeren Mindesthaltbarkeitsdatum wie Joghurts oder Wurstwaren werden bei uns klassisch kurz eingelagert und nach Bedarf kommissioniert. Ultrafrischwaren wie Fertigsalate werden etikettiert und vorsortiert nachts bei unserer VZ angeliefert. Sie werden aber nicht zwischengelagert, sondern kommen frühmorgens auf unsere LKWs, sodass sie vor der Ladenöffnung bei den Filialen sind. Man nennt das Cross-Docking. 

Was fasziniert Sie angesichts der logistischen Dynamik? 
Bei Interdiscount lernte ich: Ein Handy, das frisch auf den Markt kommt, muss in Kürze verkauft sein. Frische im Lebensmittelbereich dahingegen ist etwas anderes. In einer regionalen Verteilzentrale arbeiten wir im 24-Stunden-Rhythmus. Alles ist hier extrem getaktet, wenn mal etwas nicht ganz rund läuft, kannst du es am nächsten Tag wieder besser machen. Würden wir viermal innerhalb von zehn Stunden durch unsere Berner VZ gehen, wären auf dem gleichen Quadratmeter viermal andere Sortimente zu sehen.

Wenn Sie aus Ihrem Bürofenster schauen, können Sie in etwa abschätzen, ob alles ordentlich läuft?
Ja, es hilft schon. Sehe ich am Morgen draussen längere oder kürzere LKW-Schlangen, kann ich die Lage etwas einschätzen. Oft gehe ich hinunter auf den Platz. Ein Verkaufsleiter, der keine Läden besucht, wäre ja auch nicht denkbar. Aber es gibt für mich nicht nur Bern. Ich bin auch sonst viel unterwegs, besuche die Verteilzentralen in der ganzen Schweiz und bin oft für Sitzungen in Basel am Hauptsitz. In den letzten Zwei Jahren sind wir pandemiebedingt bedeutend elektronischer geworden und treffen uns weniger physisch.

Wie sieht es aus mit Leerfahrten? 
Die gibt es bei uns nicht: Selbst unsere Lastwagen, die zurückkommen, sind zu rund 70 Prozent befüllt. Denn wir entsorgen nichts draussen in den Gemeinden. Auf unserem Areal hier haben wir eine Wertstoffzentrale. Ob Kehricht, Altpapier, Batterien oder Baumaterial, da wird alles sortiert. Wir haben Maschinen dafür.


Dramatik durch Coronakrise

Ende 2021 sah sich die Schweiz wieder mit einer weiteren Pandemie-Welle konfrontiert. Spürten Sie das im Einkaufsverhalten vor den Festtagen?
Festtagseinkäufe sind für unsere Logistik und für die Verkaufsstellen grundsätzlich eine Spitzenzeit im Jahr. Anhand der sehr hohen Mengen unserer gerüsteten Einheiten sahen wir wieder Corona-bedingte Einflüsse, teils weil die Leute weniger ins Ausland reisten und auch weniger ennet der Grenze einkauften. Doch wir waren vorbereitet und konnten die Situation bewältigen.

Es gab bei Coop Handbücher für den Fall einer Pandemie, aber die blieben im Schrank.

Daniel Hintermann


Anders als 2020 nach der bundesrätlichen Verhängung des Lockdown Mitte März. Was passierte da, welche Herausforderungen und Lerneffekte sind Ihnen in besonderer Erinnerung?
Es war unvorstellbar, was im Detailhandel auf uns einprasselte. Kein Vergleich mit den gewohnten Spitzenzeiten im Hinblick auf Festtage. Zu Beginn, als es zu Hamsterkäufen kam, erforderte es von uns totale Improvisation. Zum Glück waren unsere Admin-Systeme stabil, ständig aber mussten wir zusätzliche, neue Lösungen erfinden. Es gab bei Coop Handbücher für den Fall einer Pandemie, aber die blieben im Schrank. Vielmehr überlegten wir situationsangepasst, flexibel und schnell, wie wir uns im gegebenen Krisenmodus organisieren.

Auf der obersten Stufe der Organisation packten wir die Krise wie ein KMU an, bildeten einen Krisenstab mit ganz wenigen Leuten und Joos Sutter als Chef [damals noch CEO, heute VRP]. Mit dieser Gruppe waren wir nah an der Front. Wir schufen als ganze Firma Plattformen. Etwa eine Taskforce Warenfluss, wo Leute aus Beschaffung, Logistik und Verkauf sowie Themenvertreter miteinander Herausforderungen lösten. Leute, die sonst nicht so eng zusammenarbeiten. Ganz wichtig war, dass auch wir Vorgesetzte inklusive Geschäftsleitung so oft als möglich solidarisch draussen bei den Leuten waren und uns nicht ins Büro zurückzogen.

Und bei Ihnen, in Ihrer Direktion?
In der Taskforce Logistik versuchten wir meist virtuell, schweizweit uns laufend abzustimmen. So lernten wir die einzelnen Probleme in den verschiedenen Regionen kennen. Das Tessin war schon im Krisenmodus, als wir in Bern noch das Gefühl hatten, das werde bei uns nicht so schlimm. Gemeinsam erarbeiteten wir jeweils die Lösung für eine spezifische Problemstellung und formulierten so weit als möglich Standardlösungen für gleiche oder ähnliche Situationen. Plexiglaseinrichtungen in den Läden, Desinfektionsmittel oder dann Masken zum Schutz aller unserer Mitarbeitenden waren zum Beispiel nationale Themen. Um Desinfektionsmittel herzustellen, hatten wir zum Glück mit Steinfels Swiss ein eigenes Produktionswerk.


Toilettenpapier ... andere Marktregeln

Zu gewissen Zeiten gab es auch leere Gestelle, zum Beispiel beim WC-Papier, das viel Stoff für Pointen lieferte. Wie war das für Sie? 
Es war für uns logistisch eine schwierige Geschichte. Unser Ziel war es immer, keine Löcher im Verkaufsgestell zu haben. Wir erlebten aber verschiedene neue Phänomene gleichzeitig, die man sich in unserer organisierten Welt nicht vorgestellt hatte. So lief plötzlich ein Sortiment, WC-Papier, so verrückt wie nie. Auf diesen Effekt reagierte unser Warenverwaltungssystem automatisch und wir mussten manuell eingreifen. Letztlich hatten wir höchstens eine Woche lang effektiv zu wenig WC-Papier. Die Herausforderung war eine andere: Das WC-Papier war nicht immer am richtigen Ort. Die Kundennachfrage veränderte sich rasant und verlagerte sich mit dem Homeoffice in Kürze von den grossen Supermärkten in die kleinen Läden um die Ecke.

Die neuen Marktregeln, die auf uns als Logistiker einprasselten, sind für mich eigentlich die verrückteste Erinnerung. Gab es zu wenig Ware, galten plötzlich ganz andere Regeln. Auch waren nicht mehr 35 Sorten Teigwaren gefragt. Hauptsache es gab Teigwaren, die Sortimentsvielfalt war zweitrangig. Wichtiger war, dass wir die Grundversorgung sichern konnten, was uns gelungen ist.

Was freut Sie beim Rückblick besonders?
Abgesehen von der gesellschaftlichen Dramatik durch Corona war es für alle von uns eine ausgesprochen lehrreiche Zeit. Zusammen eine Krise zu bewältigen, brachte uns unglaublich nahe zusammen. Ich spürte, wie viel Leistungswille und Teamfähigkeit da waren. Zwei Highlights: Von einem Tag auf den anderen wurden bei Coop 1000 Non-Food-Läden geschlossen mit 13 000 Leuten, die keine Beschäftigung mehr hatten. Dann begannen wir, Leute aus allen möglichen Formaten umzuverteilen. Das klingt relativ einfach, war aber extrem komplex. In unserer Bäckerei sah ich plötzlich einen früheren Arbeitskollegen von Interdiscount anpacken. Das war für mich ein Schlüsselmoment: Wir sind wirklich eine Coop-Familie.

Die neuen Situationen gaben viele Inputs und Impulse in unsere Firma. Im Prinzip fingen wir an, das ganze Supply-Chain-System im operativen Tagesgeschäft neu zu managen, besonders an den Schnittstellen. Mit dem Ergebnis, dass das Zusammenarbeiten besser funktionierte als vorher. Daraus ergab sich ein Gremium, das seither weitergeführt wird; neue Erkenntnisse integrierten wir in den regulären Betrieb. Das Bewältigen von riesigen Nachfragen wurde logistisch eine Art neue Normalität für uns.


Top 100 Shop

Im Online-Handel kam Coop 2020 zeitweise auch an die Grenzen.
Stimmt. Kurze Zeit nachdem der Bundesrat Mitte März den Lockdown angekündigt hatte, brachen unsere Onlinesysteme ob des Ansturms fast zusammen. Entsprechend öffneten wir pro Tag eine definierte Anzahl Zeitfenster für Bestellungen. Diese waren dauernd ausgebucht. Für Stammkunden, zum Beispiel Kitas und ältere Leute, die einzig online einkaufen, war das suboptimal. Da bemühten wir uns um eine Sonderbetreuung. Wir konnten nicht die ganze Schweiz mit allem versorgen. Aber wenigstens die Grundversorgung wollten wir sicherstellen.

Wir konnten nicht die ganze Schweiz mit allem versorgen. Aber wenigstens die Grundversorgung wollten wir sicherstellen.

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Wie gelang das?
Wir bewiesen Lösungsstärke: Innert weniger Tage lancierten wir einen «Top 100 Shop» mit den gängigsten ungekühlten Produkten des täglichen Bedarfs. Wir mieteten bei unserem Logistikpartner Galliker eine grosse Lagerplattform und stellten die 100 stärksten Artikel darauf. Zudem richteten wir eine völlig andere simple Online-Bestellplattform ein. Die Lieferungen erfolgten innert kürzester Zeit per Post.

Bringen Krisen und die interdisziplinäre Zusammenarbeit mehr Kreativität hervor?
Ja, die Kreativität förderte es wirklich. Auch im Kleinen suchten wir immer nach Lösungen. Logistik sieht auf den ersten Blick nicht nach besonders viel Kreativität aus. Um das Prozessmanagement aber umfassend oder anders zu denken und Lösungen zu gestalten, die vielleicht einen Schritt weiter gehen, muss man sich enorm in die Prozesse vertiefen. Unsere Abteilungsleiter brauchen dieses tiefe Interesse und die Freude am Thema.

Die kleinste Filiale 

Coop hat in der ganzen Schweiz rund 2350 Verkaufsformate, davon rund 1000 Supermärkte. Welches ist die kleinste Filiale?
Sie liegt in Bosco Gurin hinten im Maggiatal. Der Laden ist geschätzte 40 Quadratmeter gross. Die Strasse dort hinauf ist so schmal, dass eine normale Belieferung kaum möglich ist. Vor ein paar Jahren schafften wir für die Ladenleiterin einen kleinen Lieferwagen an: Sie fährt jeweils selber zur Filiale Cevio hinunter und bezieht dort alles, was sie oben im Laden braucht.

Ein abgelegenes Bijou-Lädeli, das Coop dort oben am Leben erhalten will?
Die Filiale besteht seit Ewigkeiten, und ich bin froh, dass sie überlebt. Es gab Zeiten, wo Coop stark in grössere Formate investierte. Wir investieren heute vermehrt in kleine moderne Läden in ländlichen Gebieten und Quartieren – dort wo die Menschen leben. Es geht uns darum, eine gewisse Verantwortung in den Regionen zu tragen. Aus kleinen und grossen Genossenschaften sind wir entstanden, dort wurzeln auch unsere Land-Standorte.


Wandel im Gütertransport 

Die CO2-Reduktion ist ein grosses Anliegen von Coop, ein Fokus liegt auf dem Gütertransport.
Genau. 2008 wurden Weichen gestellt. Das visionäre Ziel damals von Coop war es, bis 2023 im Schweizer Geschäft betrieblich CO2-neutral zu sein. Konkret: 50 Prozent, die wir selbst schaffen. Die anderen 50 Prozent kompensieren wir durch hochwertige Klimaschutzprojekte mit dem WWF in unseren Lieferketten. Das war auch der Auslöser dafür, dass wir 2010 eine junge Firma, namens railCare, mit ihrem Bahnangebot übernahmen (Details, siehe 'Verwandter Artikel'). Unser Anliegen war es, auf langen Strecken auf die Schiene zu setzen.

Welche Vorteile bringt das – und wie zufrieden sind Sie mit dem Erreichten?
In den Jahren von 2010 bis 2020 steigerten wir unseren Gütertransport mit der Bahn um den Faktor 2,7. Pro Jahr sparen wir so fast 10'000 Tonnen CO2 oder 10 Millionen LKW-Kilometer. Das sind beachtliche Zahlen. Dass wir in der Schweiz für die Schiene Strom aus Wasserkraft nutzen, ist zusätzlich positiv. Die Schiene hat für uns eine riesige Bedeutung, allem voran was die CO2-Bilanz und unsere Klimastrategie betrifft. Ein Vorteil ist zudem der sogenannte Nachtsprung, die Gütertransporte während der Nacht. Mit LKWs sind nachts praktisch nur Transporte von Frischprodukten erlaubt.


Ausbau von Railcare

Seit Anfang Oktober 2021 – erfolgen die Gütertransporte auf der Schiene von Coop nur noch in Teilbereichen mit SBB Cargo, weit mehr aber mit der Coop-eigenen Railcare. Warum der Ausbau der eigenen Güterbahn?
Wir streben, die perfekte Eisenbahnlösung für Coop an, zugeschnitten ganz auf unsere Bedürfnisse. Wir haben viele nationale Transporte. Unsere goldene Regel ist es: Fahrten über 90 km müssen auf die Bahn. Unser Problem war es, dass uns niemand eine Lösung für die ‘letzte Meile’ zu den mehr als 2000 Läden anbieten konnte. So etablierten wir mit Railcare den unbegleiteten kombinierten Verkehr. Von der geschilderten Veränderung sind unsere Transporte mit den Waren für die Läden betroffen. Die Getreidelieferungen für Swissmill in Ganzzügen etwa erfolgen nach wie vor mit SBB Cargo.

Wie sieht es aus mit dem Rollmaterial?
Heute haben wir mit sieben geleasten Railcare-Lokomotiven genügend Lokis. Das klassische Railcare-System mit den Wechselbehältern, die wir von den Zügen auf die LKWs schieben für die Fahrten zu den Filialen, bleibt bestehen. Spätestens ab April 2022 werden wir zusätzliche eigene Güterwagen für Paletten und Rollbehälter einführen, die etwas anders sind als jene der SBB. Darüber hinaus beantragen wir bedarfsmässig auf dem Schienennetz Trasseenutzungen für gewisse Zeitfenster, für die wir zahlen.

Für die SBB dürfte dieser Strategiewechsel eines Grosskunden wie Coop keine einfache Sache sein?
Es war ein Prozess, der nicht über Nacht passierte. Nach wie vor haben wir eine enge und gute Beziehung mit der SBB und sind in den spezifischen Bereichen sehr froh um ihre Dienste.


Mit Wasserstoff unterwegs

Coop setzt zudem auf Wasserstoff-Lastwagen, mit der ersten H2-Tankstelle in Hunzenschwil bei Schafisheim war sie 2016 Schweizer Pionierin. Sieht Coop darin eine Zukunftsstrategie?
Wir sind überzeugt, dass Wasserstoff als Treibstoff eine Technologie mit Zukunft ist (Details, siehe 'Verwandter Artikel'). Um diese zu pushen, initiierten wir mit sieben Gründungsmitgliedern 2018 den Verein «H2 Energy». Inzwischen sind es 21 Mitglieder, darunter Detailhändler, Transporteure, Tankstellenbetreiber. Die Fahrzeugbeschaffung war damals nicht einfach. Dank einer strategischen Partnerschaft mit Hyundai sowie mit «H2 Energy» und Stromproduzenten im Land (zur Gewinnung von Wasserstoff aus Wasserkraft) sind wir gut unterwegs. Zurzeit hat Coop sieben H2-LKWs der ersten Generation von Hyundai, die wir nur leasen können. H2- und E-Fahrzeuge sind vorläufig von der Schwerverkehrsabgabe (LSVA) befreit, um den Technologien Luft zu geben, sich zu entwickeln. Da werden politische Entscheide noch eine Rolle spielen.

Wir sind überzeugt, dass Wasserstoff als Treibstoff eine Technologie mit Zukunft ist.

Daniel Hintermann


Coop hat auch Elektro-LKWs. Wie schneiden die H2-LKWs im Vergleich ab?
Mit unseren H2-Camions sind wir recht happy und fahren wir mehr als einen Tag ohne aufzutanken herum. Die Praxistauglichkeit ist heute schon bewiesen. Die E-Camions hingegen kommen an ihre Grenzen, sie sind derzeit nicht Anhänger-tauglich. Um grosse Tonnagen bewegen zu können, sind relativ grosse Batterien nötig. Ich kann mir gut vorstellen, dass sich bei den PWs die elektrisch angetriebenen im grossen Stil durchsetzen, während es bei den schweren LKWs jene mit Wasserstoff-Antrieb sein dürften.


Grünes Licht für unterirdische Güterbahn

Stichwort Cargo sous terrain (CST), die privat finanzierte unterirdische Gütertransportanlage: Wie entwickelt sich das Projekt, bei dem Coop ebenfalls als Pionierin mitwirkt?
Es ist ein hochinteressantes, absolut visionäres Projekt (Details siehe 'Verwandter Artikel'). Ich bin als Marktvertreter im geschäftsführenden Ausschuss und bringe die nutzerseitigen Anliegen ein. Wir freuen uns, dass National- und Ständerat im Dezember 2021 das vom Bundesrat ausgearbeitete «Gesetz über den unterirdischen Gütertransport» bereinigt und gutgeheissen haben. Es ist eine zwingende Grundlage für den Bau und bietet gesicherte Rahmenbedingungen. Das baldige Inkrafttreten des Gesetzes ist ein Meilenstein und der formelle Start für die Baubewilligungsphase, Vorarbeiten wurden bereits geleistet. Bis dahin ist alles sauber finanziert und wir sind gut auf Kurs. Coop gehört zu den rund 80 Aktionären; unsere Aufgabe als Marktvertreter ist es jedoch, vor allem in Form von Transportaufträgen zu investieren.

Es ist ein hochinteressantes, absolut visionäres Projekt.

Daniel Hintermann


Ist CST ein rein ergänzendes Angebot oder könnte es andere Verkehrsträger konkurrenzieren?
Die neue Infrastruktur hat primär eine ergänzende Aufgabe und bietet zudem neue Lösungsansätze für die Citylogistik, für die Feinverteilung in den Innenstädten. An verschiedenen Standorten gibt es zudem Anbindungen an die Eisenbahn. Interessant können auch Kombinationen sein. Gewisse Konkurrenzeffekte sind möglich. Und selbstverständlich werden wir unsere LKW-Flotte verkleinern, zumal wir zu einer Reduktion des Strassenverkehrs beitragen wollen. Da bis 2040 mit einem markanten Gütertransportzuwachs gerechnet wird, würden Konkurrenzeffekte auch abgefedert. Zudem eignen sich nicht alle Güter für den CST-Transport.

Das Wichtigste aber für uns ist, dass das System wirtschaftlich betrieben werden kann. Dessen Marktberechtigung muss vor dem Bau sauber erwiesen sein. Sollten Fantasiepreise nötig sein, um etwas zu transportieren, bauen wir das unterirdische Transportsystem gescheiter nicht. Wir sind heute jedoch überzeugt, dass wir auf dem richtigen Weg sind.


Digitalisierungsprojekte

Stichwort Digitalisierung: Ist da Grosses im Tun?
Ja, wir geben Gas. In der ganzen Transportwelt gibt es ein gewaltiges Potenzial. Ein Thema ist, die Trackingfähigkeit der LKWs zu steigern, um die Tourenplanung zu verbessern. Es zeigt sich, dass gewisse Touren wegen Stau teilweise Verspätung haben. Ein Ziel ist es, für die Filialen ein möglichst kleines Zeitfenster von +/-15 Minuten zu definieren, wo wir anliefern können.

Auch inhouse im Bereich Bäckerei laufen Initiativen, um das Zusammenspiel sehr vieler Produktionselemente und Anlagen genau anzuschauen. Anhand der grossen Datenmengen können wir eruieren, bei welchen Produkten unterschiedliche Herausforderungen bestehen, Ursachen für Flaschenhälse erkennen und schliesslich auch viel spezifischer planen.


Ebenfalls Bäckerei-Chef

Sie sind als Logistikdirektor ebenfalls Chef der Coop-Bäckereien. Warum eigentlich?
Das ist eine vor Jahren rein organisatorisch gewachsene Kombination. Früher wurden in den Coop-Bäckereien alle Brote fixfertig gebacken. Damit diese auf direktem Weg in die Läden kommen, gliederte man die Bäckereien den Verteilzentralen an. Heute ist das anders: Das Frischbrot-Sortiment in Schafisheim beträgt etwa 30 Prozent, der grösste Produktionsanteil liegt bei Tiefkühlteiglingen, die in den Läden frisch gebacken werden. Zunehmend liefern wir auch Teigrohprodukte an die Filialen aus.

Die Coop Bäckereien arbeiten eng mit Swissmill zusammen. Welche Noten gibt es für die Zusammenarbeit?
Sehr gute Noten. Wir beziehen alles Mehl von Swissmill, ausser etwa den Regiomehlen aus anderen Mühlen, aber diese beschafft Swissmill für uns. Swissmill ist für uns eine Kooperationspartnerin im Bereich Mehl und Backen und Logistik. Die Zusammenarbeit ist sehr interessant. In schlechten Erntejahren, wie aktuell, haben wir gemeinsam grössere Herausforderungen, besonders im Bio-Bereich. Da gerät Swissmill unter Druck, sie möchte uns beliefern, kann dies aufgrund der Ernte aber nur bedingt. Das erfordert Teamwork, und im Extremfall müssen wir das Brotsortiment leicht umstellen.

Essen Sie gerne Brot?
Ja, sehr, Brot und ganz besonders Zopf, den Bio-Holzbackofenzopf von Coop finde ich zum Beispiel ausgezeichnet. Der schmeckt auch noch am Morgen darauf, auch unseren Kindern.

Ihre Söhne sind erst elf- und siebenjährig.
Ja, ich bin ein später Vater. Gerade als ich 2010 in Schafisheim die Gesamtleitung für das Bauprojekt übernahm, kam der erste Sohn zur Welt. Das war keine einfache Zeit, tägliches Pendeln kam damals dazu. Im Moment bin ich in der Phase, wo ich mich Stufe um Stufe durch das Berner Schulsystem arbeite, das ist durchaus interessant. Ich versuche immer, die Familie hochzuhalten und ganz klare Zeiten für sie wahrzunehmen. Es ist schön, dass wir inzwischen alle vier mit dem Bike oder in den Wanderschuhen unterwegs sein und mehr unternehmen können.

Sind Sie erfüllt im Beruf?
Merkt man mir das nicht an (schmunzelt)? Als Kind sagt niemand, ich werde mal Logistikleiter. Ich habe heute noch Mühe, meinem Kleinen einen typischen Tageslauf zu erklären. Das Schöne: Es gibt endlos Themen, die du aufnehmen kannst. Bis zur Pensionierung kann ich hier Vollgas geben. Immer mit der Idee, besser zu werden, effizienter oder günstiger, mit mehr Sicherheit für die Mitarbeitenden, für die Qualität und den gesamten Prozess. Ich habe viele Freiheiten und kann jetzt sogar noch die eigene Eisenbahngesellschaft vergrössern. Wenn ich nicht erfüllt wäre, würde ich etwas falsch machen.

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